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In guten wie in schlechten Zeiten
- bis der Anleger entscheidet

Die Grundsätze der Finanzkommunikation gelten auch und gerade in der Baisse

Von Patrick Kiss, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung: Investor Relations Manager, Gontard & MetallBank AG

Kein Patentrezept
Zu beachtende Grundsätze
IR als Expectation Management

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in der Börsen-Zeitung, Nr. 179, 15.9.2001, Sonderbeilage "Investor Relations", Seite B 2

Für viele Kommunikationsprofis ist die derzeitige Börsenverfassung eine völlig neue Erfahrung. Seit 18 Monaten befindet sich nicht nur der deutsche Aktienmarkt sondern der gesamte Weltmarkt in einer ausgeprägten Baisse. Viele der Investor Relations-Manager sind erst nach dem Crash 1987 in ihre in Deutschland noch sehr junge Berufsdisziplin eingestiegen. In den letzten viereinhalb Jahren waren Spezialisten für Finanzkommunikation besonders von den inzwischen etwa 340 Neuer Markt-Unternehmen gesucht. Investor Relations-Manager sind begehrt wie bis vor kurzem Investmentbanker und Analysten.

In steigenden Märkten ist die Pflege von Investor Relations ein Job, der täglich Freude bereitet. Seit dem Hoch der Aktienmärkte im März 2000 jedoch weht der Wind den meisten Investor Relations-Beauftragten rauh und frontal ins Gesicht. Während sich Investoren in der einstigen Euphorie nur peripher für Ergebnisse interessierten, verlangen sie heute nach Belegen, dass das Unternehmen Geld verdient oder dies in möglichst naher Zukunft schafft. Gefragt sind nicht mehr nur Visionen, die schlüssig auf guten Strategien basieren, sondern auch eine prägnante Equity Story, die auf langfristig realistischen Annahmen beruht. Sie muss vermitteln, wie die Zukunftsversprechen dauerhaft eingelöst werden und die Profitabilität nachhaltig erreicht wird, um das Anlegervertrauen zu rechtfertigen.

Kein Patentrezept

Unabhängig davon, ob es sich um eine kapitalmarkt- (externe) oder unternehmensbedingte (interne) Krise handelt – die Kombination ist ebenfalls anzutreffen – ist der Verlauf immer ähnlich. Die Krise kündigt sich häufig schon früh an und ist bei entsprechender Sensibilität schnell als solche zu identifizieren. Für die Krisenbewältigung gibt es kein Patentrezept. Falsch wäre in jedem Fall aber das bewusste Verdrängen oder gar der Versuch der Vertuschung. Die späte Einsicht und eine zu zögerliche Informationspolitik werden vom Kapitalmarkt doppelt und nachhaltig bestraft. Nach der Erkenntnis sollte somit zügig eine offene Analyse und Darstellung der Situation folgen.

Dazu bedarf es Beschreibungen der Marktstruktur und der Marktposition sowie des Produkt- und Dienstleistungsangebots. Zusammen mit Erläuterungen der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung, weiteren Kennzahlen und Hintergrundinformationen zu aktuellen Entwicklungen bilden diese die vergangenheits- und gegenwartsbezogene Präsentation des Unternehmens. Daraus abgeleitet gilt es, die Ursachen der Krise zu erklären sowie Maßnahmen zu deren Lösung mit den entsprechenden (Zwischen-)Zielen zu erläutern. Optimal ist in einer solchen Situation die enge Einbindung des Managements, das Verlässlichkeit, Überzeugung und Vision vermittelt: Krisen-Kommunikation ist Chefsache.

Schon während der Krise sollten Maßnahmen und Kontrollinstrumente definiert werden, die zukünftig zur Prävention bzw. Früherkennung von Problemen beitragen. Erste Schritte der Neuausrichtung können eingeleitet werden, die das Vertrauen der Investoren schon in der Anfangsphase der Krisenbewältigung erhalten.

Zu beachtende Grundsätze

Für alle Investor Relations-Maßnahmen sollten – in guten wie in schlechten Zeiten – die folgenden Grundsätze beachtet werden:

  • Regelmäßigkeit und Kontinuität – Für die Überlassung seines Kapitals erwartet der Investor regelmäßige Informationen in gleichbleibender Quantität und Qualität, auch in Krisenzeiten. Gerade jetzt gilt es, das aufgebaute Anlegervertrauen nicht zu enttäuschen, sondern zu pflegen.

  • Wesentlichkeit – Es sollten nur Informationen veröffentlicht werden, die mit der Geschäftstätigkeit oder dem Geschäftserfolg eines Unternehmens in Zusammenhang stehen. Leider wird dies immer noch allzuoft bei der Formulierung von Ad hoc-Mitteilungen außer Acht gelassen.

  • Vollständigkeit – Um das Unternehmen selbstständig und unbeeinflusst einschätzen zu können, erwarten Investoren eine sachlich richtige, vollständige und faire Informationsversorgung. Das bedeutet nicht die komplette Offenlegung aller Unternehmensdaten, denn jedes Unternehmen hat berechtigte Geheimhaltungsinteressen, wie zum Beispiel über bestimmte Produktneuentwicklungen, Märkte oder Strategien. Es gilt die alte Weisheit: "Man muss nicht über alles schreiben, aber man sollte über alles reden können."

  • Zukunftsorientierung – Neben der Rechenschaft über die Tätigkeit in der Vergangenheit interessieren sich die Investoren vor allem für deren Auswirkungen auf den zukünftigen Geschäftserfolg.

  • Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit – Die Sprichwörter "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing" und "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht" drücken sehr gut den Balanceakt der Investor Relations aus. Alle vermittelten Informationen sollten der Wahrheit entsprechen und offen ohne Übertreibung komplett dargestellt werden. Durch einen vermeintlich schonend und verklausuliert formulierten Nachrichtenfluss belasten schlechte Neuigkeiten wie zum Beispiel Gewinnwarnungen den Aktienkurs stärker und dauerhafter.

  • Gleichbehandlung – alle Informationsempfänger sollten gleich behandelt werden, zeitlich wie inhaltlich, insbesondere um nicht mit dem Verbot der Ausnutzung und Weitergabe von Insiderinformationen im Wertpapierhandelsgesetz in Konflikt zu geraten. In den USA wird dies seit Herbst 2000 im Gesetz zur "fair disclosure" (gleichmäßige, unparteiische Berichterstattung) vorgeschrieben.

  • Zielgruppenfokussierung – Für Investoren sind andere Informationen als beispielsweise für Kunden relevant. Sie interessieren sich nicht für die genaue Funktionsweise eines neuen Produkts, sondern für den zu erwartenden Verkaufserfolg. Daher sollten die Informationen kapitalmarktspezifisch, einfach und verständlich aufbereitet sein.

  • Zeitnähe der Information – Nur aktuelle Informationen aus erster Hand sind für Investoren interessant. Je schneller Unternehmen neue Erkenntnisse berichten, desto besser entwickelt sich die Aktie. Auch das gilt für gute Zeiten genauso wie für schlechte. Verpasst ein Unternehmen die Chance, neue Informationen aus dem eigenen Haus zeitnah zu kommentieren, so tun dies andere – doch gefiltert und selten in seinem Sinne. In diesem Zusammenhang erscheint die ständige Erreichbarkeit der Investor Relations-Verantwortlichen sinnvoll, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

  • Wirtschaftlichkeit – Die Kommunikationskosten sollten sowohl im Interesse des Unternehmens als auch im Interesse der Investoren möglichst gering gehalten werden und sich an Kosten-/Nutzenabwägungen orientieren.

  • One company, one voice – Die Unternehmensvertreter sollten die Finanz- und Unternehmenskommunikation immer untereinander abstimmen und dabei die Vorgaben der Corporate Communications beachten, damit eine kohärente Gesamtkommunikation sichergestellt ist und das Unternehmen ein einheitliches Erscheinungsbild abgibt.

Strategisch und langfristig planende Investor Relations-Manager beherzigen diese Grundsätze und sind mit ihrer Kommunikationspolitik auf eine Baisse vorbereitet. Durch technische (Adress-Datenbanken, Dienstleister-Karteien) und formelle (To-do-Listen, festgelegte Abstimmungsprozesse) Vorkehrungen wird der Weg für die wichtigste Komponente der Krisen-IR geebnet: die Inhalte.

IR als Expectation Management

Die von Investor Relations-Professionals bedienten Zielgruppen erwarten in jeglicher Hinsicht Kontinuität. Das Expectation Management orientiert sich neben den reinen Informationspflichten ebenso auf eine klare Linie in der Investorenansprache. Investoren würden es nicht mögen, neben schlechten Zahlen zusätzlich einen Bruch in ihrer Kommunikations- und Informationsbeziehung zum Unternehmen verarbeiten zu müssen. Ein einmal verlorenes Vertrauen ist nur sehr langfristig und mühsam wieder aufzubauen. Dagegen ist die erhöhte Risikoprämie auf Grund von deutlich von den Analystenerwartungen abweichenden Ergebnissen mittelfristig wieder auszugleichen, wenngleich der irrationale Faktor hier nicht selten überwiegt und eine Aktie - trotz sich verbessernder Ergebnisse - vom Kapitalmarkt verschmäht wird. Investoren verübeln weniger die Krise, sondern vielmehr die Unstetigkeit. Im Rahmen des Expectation Managements sollen daher die formalen und inhaltlichen Erwartungen an die Finanzkommunikation gesteuert werden.

So entsteht ein Spannungsfeld, das nicht selten zu Diskrepanzen mit den einstigen Erwartungen einiger Investor Relations-Manager an den von ihnen gewählten Beruf führt. In Zeiten der Baisse sind sie gegenüber Investmentbankern und Analysten aber in einem Punkt im Vorteil: Ihr Job ist verhältnismäßig sicher. Die Finanzkommunikation von Kapitalgesellschaften muss immer gewährleistet sein – in guten wie in schlechten Zeiten.
(Börsen-Zeitung, 15.9.2001)


© 2008 by Patrick Kiss

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