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Standpunkt P. Kiss
Standpunkt J. Pfannenberg
Hintergrund

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht im MÄRZHEUSER | GUTZY MEDIEN-MONITOR Mai 2004

"Unternehmen, die Investor Relations nur als Kostenfaktor sehen, sind nicht kapitalmarktfähig"

Interview mit Patrick Kiss, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung: Head of Investor & Public Relations, Deutsche EuroShop AG und Vorstandsmitglied Deutscher Investor Relations Kreis (DIRK)

MEDIEN-MONITOR: Bei einer vor kurzem von T-Online durchgeführten Umfrage votierten 47 Prozent der Befragten für einen erneuten „Einstieg in die Aktie“. Nur 13,7 Prozent waren der Meinung „Finger weg von Aktien“. Ist die Welt am Finanzplatz Deutschland also wieder in Ordnung, die Vertrauenskrise mithin überwunden?

Kiss: Ich bin nicht sicher, ob das Vertrauen wiederkehrt ist. Aber zumindest die Gier ist schon zurück. Und die "hilft" beim Vergessen all der guten Vorsätze, die sich Anleger einst für ihr nächstes Aktieninvestment gefasst haben.

"IR-Manager müssen inzwischen absolute Allrounder sein: Kaufmann, Analyst, Kommunikator und Jurist in einer Person."

Patrick Kiss
Head of Investor & Public Relations, Deutsche EuroShop AG und Vorstandsmitglied Deutscher Investor Relations Kreis (DIRK)

MEDIEN-MONITOR: Als die Deutsche Börse ihre Überlegungen zur Neusegmentierung des deutschen Aktienmarktes und der Indexwelt vorgestellt hat, hagelte es von allen Seiten Kritik. Heute – gut ein Jahr nach In-Kraft-Treten der Änderungen – scheint sich das Stimmungsbild gewandelt zu haben. Zudem ziehen seit der schärferen Abgrenzung zwischen MDax, TecDax und SDax die Aktienkurse der kleineren und mittelgroßen Werte tatsächlich genauso stark an wie die der großen Standardtitel. Ist der Deutschen Börse mit der Index-Reform am Ende doch der große Wurf gelungen?

Kiss: Man könnte sagen, der Erfolg gibt der Deutschen Börse Recht. Durch die Neusegmentierung ist die Qualität und die Marktkapitalisierung von MDAX und SDAX gestiegen. Leider sind auch viele gute Aktien im Nirvana verschwunden. Ich meine damit die Unternehmen, die zwar im Prime Standard, aber in keinem Index vertreten sind. Für diese Unternehmen fehlt uns in Deutschland so etwas wie der weit gefasste US-Index S&P 500.

MEDIEN-MONITOR: Zu den Verlierern der Neusegmentierung zählen die SDax-Unternehmen, sie führen vielfach ein Schattendasein. Was können diese Unternehmen tun, um die Aufmerksamkeit der Investoren auf sich zu lenken?

Kiss: Ich sehe die SDAX-Unternehmen nicht als Verlierer. Im SDAX tummeln sich viele bekannte Markenhersteller genauso wie bisher eher unbekannte Unternehmen. Sie alle haben eine Story, die sie den Investoren vermitteln müssen. Aufmerksamkeit erlangen sie nicht durch Effekthascherei, sondern durch überzeugende Ergebnisse und einen langfristigen Vertrauensaufbau. Dabei kann man verschiedene Ansätze verfolgen, beispielsweise mit kleinen, aber spezialisierten Banken auf Roadshow gehen, um Investoren anzusprechen, die mit ihrer Anlagephilosophie zum Unternehmen passen.

MEDIEN-MONITOR: Im Kampf gegen die Vertrauenskrise droht den Unternehmen neues Ungemach aus Brüssel. Die neue EU-Marktmissbrauchsrichtlinie, die bis zum 12. Oktober 2004 in weiten Teilen umgesetzt werden muss, schreibt vor, dass künftig auch solche Insiderinformationen bekannt gegeben werden müssen, die sich nicht auf die Geschäftszahlen oder den allgemeinen Geschäftsverlauf der Emittenten beziehen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht warnt bereits vor einem sprunghaften Anstieg der Ad-hoc-Meldungen. Was kommt da auf die Unternehmen zu?

Kiss: Mehr als so mancher ahnt. Unternehmen ist fast zu empfehlen, einen auf Kapitalmarktrecht spezialisierten Juristen einzustellen, der das Management und die IR-Abteilung täglich beraten kann. IR-Manager müssen inzwischen absolute Allrounder sein: Kaufmann, Analyst, Kommunikator und Jurist in einer Person.

MEDIEN-MONITOR: Hand aufs Herz: Führt eine Verschärfung der gesetzlichen Publizitätsvorschriften automatisch auch zu einer verbesserten Transparenz des Kapitalmarktgeschehens?

Kiss: Prinzipiell schon. Aber es ist wie immer im Leben: Wenn jemand betrügen will, dann wird er leider einen Weg finden. Und eine Überregulierung hilft auch niemandem.

MEDIEN-MONITOR: Wenn Sie noch einmal einen Blick auf die Hype-Phase Ende der 90er Jahre werfen: Trifft die Investor Relations-Verantwortlichen der Unternehmen eine Mitschuld an der Börsenblase?

Kiss: Sicher. Warnende Worte wollte niemand hören. Alle waren wie in Trance und haben das große Rad mitgedreht: Unternehmen, Banker, Journalisten, Analysten, Investoren. Und die IR-Manager – zugegeben, nicht alle – haben der fordernden "Meute" das Futter geliefert.

MEDIEN-MONITOR: Unternehmerische Visionen oder harte Fakten: Was ist bei der Financial Community derzeit mehr gefragt?

Kiss: Fakten. Vielleicht auch die Kombination. Aber wenn Kennziffern wie das KGV eine Renaissance erleben, kommt man mit Visionen nicht weit.

MEDIEN-MONITOR: Bestens informiert, offen und immer ansprechbar – so wünschen sich Wirtschaftsjournalisten ihre Gesprächspartner in den Investor Relations-Abteilungen. Wie sieht die Wirklichkeit in diesem sensiblen Bereich der Unternehmenskommunikation heute aus?

Kiss: Oft sind IR-Manager nicht "ansprechbar" für Journalisten. Viele Unternehmen, speziell größere, haben hierfür eine eigene PR-Abteilung. Ich persönlich zähle Finanz- und Wirtschaftsjournalisten zu den Zielgruppen von Investor Relations. Zumindest ein Hand-in-Hand der beiden Disziplinen PR und IR sollte im Sinne der One-Company-one-Voice-Policy gewährleistet sein.

MEDIEN-MONITOR: Auf die Krise an den Aktienmärkten folgte in den Kommunikationsabteilungen der Unternehmen vielfach der Rückzug ins Schneckenhaus. Welche Konsequenzen sollte die Kommunikation aus dem "Crash auf Raten" ziehen?

Kiss: Für viele war es der erste Kontakt mit der "dunklen Seite" der Börse. Fallende Kurse kannten viele der IR-Neueinsteiger noch gar nicht. Aber Schönwetter-IR kann jeder. Der Crash hat die Spreu vom Weizen getrennt und zur weiteren Professionalisierung der IR beigetragen.

MEDIEN-MONITOR: Ein Opfer der Börsen-Baisse sind die Investor Relations-Budgets. Welche Möglichkeiten haben die Kommunikationsabteilungen der Unternehmen überhaupt in Zeiten knapper Kassen?

Kiss: Die komplette Klaviatur der Instrumente steht noch immer zur Verfügung. Die Pflicht muss weiter erfüllt werden. Hier besteht sicher Einsparpotenzial. Und glänzen kann man in der Kür auch mit kleinen Budgets. Es kommt auf Inhalte und die Überzeugungskraft des Managements an.

MEDIEN-MONITOR: Kommunikationsmaßnahmen, zumal im Bereich der Investor Relations, werden vielfach nur als Kostenfaktor wahrgenommen. Der Nutzen eines kontinuierlichen Beziehungsmanagements zeigt sich vielfach erst in akuten Krisensituationen. Was kann – und muss – die IR-Profession tun, um etwas an dieser einseitigen Wahrnehmung zu ändern?

Kiss: Unternehmen, die IR nur als Kostenfaktor sehen, sind nicht kapitalmarktfähig. Sie haben die grundsätzlichen Zusammenhänge nicht verstanden. Aber davon gibt es zum Glück nicht viele. Sicher verursachen IR Kosten, aber es ist doch ganz einfach: Börsennotierte Unternehmen „leihen“ sich Geld am Kapitalmarkt. Die Geldgeber möchten dafür, dass sie das Risiko tragen, über die Verwendung ihres Geldes informiert werden. Je besser diese Information fließt (also je besser die IR gepflegt werden), desto niedriger ist die geforderte Risikoprämie und somit der "Zins", der vom Unternehmen gezahlt werden muss. Dabei machen die Kosten für IR einen Bruchteil der Kapitalkosten aus. Salopp könnte man also formulieren: Kosten senken Kosten.

MEDIEN-MONITOR: Ein zentrales Problem der IR-Praxis liegt in der Erfolgsmessung. Sind denn der Aktienkurs und die Kursvolatilität überhaupt dazu geeignet, Wirkung und Effizienz der IR-Arbeit zu messen?

Kiss: In Ansätzen. Dennoch muss man attestieren, dass Aktienkurs und Volatilität gut geeignet sind, um die Chaostheorie zu erläutern: Wie der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Wirbelsturm in Texas auslösen kann, so gibt es eine Vielzahl von Einflussfaktoren auf den Aktienkurs. Diese sind aber nicht isolierbar. Außerdem erfasst man mit dem Kurs nur die quantitative Seite. Für die qualitative Analyse erachte ich regelmäßige Perception Studies für geeignet.

MEDIEN-MONITOR: 2003 war für IR-Profis ein besonderes Jahr. Vor 50 Jahren wurde von General Electric unter dem Begriff "Investor Relations" erstmals ein Kommunikationsprogramm aus der Taufe gehoben, das sich ausschließlich an Anleger richtete. Welche Fortschritte hat die IR-Profession seit­her gemacht? Wo sehen Sie weiteren Forschungs- und Handlungsbedarf?

Kiss: Investor Relations sind inzwischen professionalisiert und etabliert. Ihre Notwendigkeit ist bei Unternehmen und Financial Community anerkannt. Handlungsbedarf sehe ich in der Ausbildung der IR-Allrounder und in der immer noch spärlich vorhandenen Literatur. Der Deutsche Investor Relations Kreis, kurz DIRK, hat mit der CIRO-Ausbildung (Certified Investor Relations Officer) und seiner Forschungsreihe erste wichtige Grundsteine gelegt. Wünschenswert wäre darüber hinaus ein eigener Lehrstuhl für Investor Relations, der die Disziplinen Betriebswirtschaft, Kommunikation und Jura kombiniert.
Und übrigens: Das Jahr 2004 ist auch ein besonderes: Der DIRK feiert sein 10jähriges Jubiläum.

MEDIEN-MONITOR: Herr Kiss, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jochen Gutzy.

Patrick Kiss ist Head of Investor & Public Relations der Deutsche EuroShop AG. Der diplomierte Kaufmann und CEFA/DVFA-Investment-Analyst kann auf eine Musterkarriere im IR-Geschäft zurückblicken: Vor seinem Einstieg bei dem Hamburger SDax-Unternehmen war er als Associate bei der IR-Agentur Burson-Marsteller tätig. Nach weiteren beruflichen Stationen bei der Gontard & Metallbank AG und SGL Carbon AG übernahm er vor gut einem Jahr die Leitung der Investor und Public Relations der Deutsche EuroShop AG. Daneben engagiert sich der 32-jährige Kommunikationsprofi im Vorstand des Deutschen Investor Relations Kreises (DIRK) und als Autor von Fachpublikationen. Patrick Kiss ist Autor des Buches "Investor Relations im Internet" (erschienen bei GoingPublic Media) und Herausgeber des Internet-Investor-Relations-Fachportals www.investorrelations.de.

Die Deutsche EuroShop AG erreichen Sie im Internet unter www.deutsche-euroshop.de. Der Deutsche Investor Relations Kreis (DIRK) ist im World Wide Web unter der Domäne www.dirk.org zu erreichen.


© 2008 by Patrick Kiss

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